Populismus hält Einzug in die Rechtsprechung – Gerichte müssen sich in Sachen Online-Glücksspielmarkt dringend sachkundig machen

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Populismus hält Einzug in die Rechtsprechung – Gerichte müssen sich in Sachen Online-Glücksspielmarkt dringend sachkundig machen

      ISA Guide schrieb:

      Ein Artikel von Ansgar Lange

      Mit dem Vorwurf des Populismus sollte man grundsätzlich vorsichtig umgehen. Bisweilen wird er zu leichtfertig erhoben. Doch ohne Zweifel sind die Populisten auf dem Vormarsch. Man denke nur an die einfach-eingängigen Twitter-Botschaften des US-Präsidenten. Die Rechtsprechung galt bisher als ein Ort, der relativ frei war von der Sucht nach einfachen Wahrheiten oder Urteilen, die vielleicht den Beifall des Boulevards finden, aber den Tatsachen nicht standhalten. Ein Urteil des Amtsgerichts (AG) München vom 21.02.2018 zur Zahlungsabwicklung für Online-Glücksspiele lässt zumindest Zweifel aufkommen, ob der Populismus nicht auch Einzug in unsere Rechtsprechung gehalten hat.

      Sündigen, ohne Buße zu tun

      Für diejenigen, die Glücksspiel sowieso für des Teufels halten, mag es eine beruhigende Vorstellung sein, dass man künftig sündigen kann, ohne Buße zu tun. Das heißt im konkreten Fall: Einige Juristen schüren momentan bei den Spielern die unrealistische Hoffnung, dass sie verlorene Glücksspieleinsätze einfach von den Banken zurückholen können. Ein Hamburger Zivilrichter vertritt sogar öffentlich die Ansicht, dass Spieler ungestraft das von ihnen eingesetzte Geld zurückfordern dürften, selbst wenn sie zuvor bewusst diesen Spieleinsatz geplant hätten. In einem Beitrag für die Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht warnt der Münchner Glücksspielrechtsexperte Dr. Bernd Berberich gemeinsam mit seinen Kollegen Claus Hambach und Dr. Stefanie Fuchs eindringlich vor dieser irrigen und folgenschweren Annahme: „Hierbei handelt es sich um eine für Spieler gefährliche Annahme, denn ein derartiges Verhalten dürfte vielmehr einen strafbaren (versuchten) Computerbetrug darstellen.“

      Animieren Anwälte Spieler zum Computerbetrug?

      An einem konkreten Beispiel macht Berberich, Partner der Kanzlei Hambach & Hambach, deutlich, wie ein kreativer Umgang mit den Fakten und eine unzulässige Vereinfachung Einzug in die Rechtsprechung halten. Es erscheint grob fahrlässig, dass Juristen Spielern, die eigenverantwortlich handeln, vorgaukeln, sie könnten etwa beim Online-Casinospiel eingesetzte Gelder einfach wieder zurückfordern. Doch das Prinzip „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ war bisher noch kein Grundsatz unserer Rechtsprechung. Diese vermeintlich simplen und „volksnahen“ Lösungen, die sogar darauf spezialisierte Anwaltskanzleien vorgaukeln, grenzen an Rosstäuscherei. Kein Ernährungsberater würde ja auch auf die Idee kommen, seinen Klienten zu sagen, dass sie ruhig kiloweise Schokolade futtern dürften. Dick würden sie davon nicht! Für eigenverantwortliches Handeln muss man eben auch die Konsequenzen tragen.

      Technische Abläufe werden immer komplizierter. Der jüngste Skandal um Datenklau im Netz, von dem vor allem Politiker und Prominente betroffen waren, hat deutlich gemacht, dass wir mit analogen Lösungen im digitalen Zeitalter nicht weiter kommen. Die Rechtsprechung wird nicht einfacher dadurch, dass das juristische Chaos rund um die Frage der Legalität von Online-Glücksspielen stetig weiter wächst. Entgegen einer weit verbreiteten irrigen Annahme sind Glücksspiele im Internet nicht ausnahmslos verboten. „Das juristische Chaos basiert aber nicht nur auf inkohärenter Gesetzgebung und widersprüchlicher Behördenpraxis, sondern insbesondere auch darauf, dass Urteile mit Bezug zu Online-Glücks- und Gewinnspielen offenbar aufgrund ihrer Komplexität zunehmend eine lückenhafte sowie unzutreffende technische Faktenlagen zugrunde legen sowie von unzutreffenden Suchtprävalenzen ausgehen. Unzutreffende Tatbestände führen jedoch notgedrungen zu rechtsfehlerhaften Entscheidungen“, so Berberich.

      Gerichte dürfen nicht im analogen Zeitalter stecken bleiben

      Die Münchner Rechtsexperten werben in ihrem Fachaufsatz daher dringlich dafür, dass sich die Gerichte bei dieser technisch hoch komplexen Materie sachkundig machen müssen.

      So habe das Gericht in seinem Sachverhalt nicht einmal zwischen dem Herausgeber der Kreditkarte (sog. Issuing Bank) und der Vertragsbank des Glücksspielunternehmens (sog. Acquirer) unterschieden. Daher sei das Gericht auch irrig davon ausgegangen, dass zwischen der Issuing Bank und dem Glücksspielunternehmen eine Vertragsbeziehung bestünde, was tatsächlich aber gar nicht der Fall war. Dies habe das Gericht schlicht unterstellt und zum Teil des Tatbestandes gemacht, so Hambach. Auch eine vollständige sog. „White List“, anhand der die Bank angeblich den illegalen Anbieter habe erkennen können, existiere tatsächlich gar nicht. Denn die bisher vom Innenministerium in Hessen veröffentlichte „White-List“ ist erkennbar unvollständig und damit untauglich, so die Glücksspielrechtsexpertin Fuchs.

      Wer analogem Denken verhaftet ist und sich zum Beispiel durch Experten nicht sachkundig machen lässt, kann letztlich kein Recht sprechen zu Sachverhalten, die einer rasanten Digitalisierung unterworfen sind. Es wäre ein schlechter Ausweg, wenn man diesem Dilemma entrinnen wolle, indem man vermeintlich einfache Lösungen präsentiert. „Je komplexer die Frage, desto einfacher die Antwort“: Eine solche Haltung kann nur auf die schiefe Bahn führen. Es darf Verbrauchern nicht suggeriert werden, dass sie ruhig Geld beim Online-Glücksspielen „verzocken“ dürfen, weil sie es sich anschließend eh von ihrer Bank zurückholen können.
      Die Misere hat allerdings auch damit zu tun, dass die Politik die Gerichte und nicht zuletzt auch die Verbraucher bis dato weitestgehend im Regen hat stehen lassen. Ein zeitgemäßer und von der Bevölkerung akzeptierter Regulierungsrahmen wird in Zeiten fortschreitender Digitalisierung wichtiger denn je. Eine Politik der Prohibition verschließt die Augen vor den Möglichkeiten, die das Medium Internet insbesondere in puncto Suchtbekämpfung bietet.

      Ansgar Lange wurde 1971 in Arnsberg / Westfalen geboren und wuchs im Sauerland auf. Er studierte Politische Wissenschaft, Geschichte und Germanistik in Bonn mit dem Abschluss Magister Artium. Während seines Studiums war er freier Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Schloss Eichholz bei Wesseling. Lange ist als freier Journalist tätig und war mehrere Jahre in einer Bonner PR-Agentur tätig. Seit 2008 arbeitet er in der Politik, so seit 2009 als CDU-Fraktionsgeschäftsführer im nordrhein-westfälischen Remscheid.

      Quelle: isa-guide.de/isa-law/articles/189408.html